Am 27. und 28. Oktober 2022 fand das 14. Deutsch-Chinesische Richterseminar zum Thema Jugendkriminalität statt, welches vom Deutsch-Chinesischen Programm Rechtskooperation der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Zusammenarbeit mit dem Bundeministerium der Justiz (BMJ) und der Nationalen Richterakademie (NJC) organisiert wurde. Es nahmen Richterinnen und Richter beider Länder, Staatsanwälte sowie Repräsentanten des Bundesministeriums der Justiz und der Nationalen Richterakademie teil.
Das jährlich stattfindende Richterseminar bietet den Teilnehmern aus China und Deutschland einen Rahmen zum gegenseitigen Austausch. Es behandelte in der Vergangenheit Themen aus allen Rechtsbereichen, z.B. Umweltrecht, Schutz des geistigen Eigentums und häusliche Gewalt. In diesem Jahr hatte es das Thema Jugendkriminalität zum Gegenstand.
Frau Wang Xiaofang und Herr Li Xiaoming, Vizepräsidenten der Nationalen Richterakademie, übernahmen die Begrüßung auf der chinesischen Seite. Herr Li Xiaoming würdigte die gute, bereits 21 Jahre währende Zusammenarbeit mit dem Rechtsprogramm, die einen Beitrag zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit leiste. Das Thema Jugendkriminalität sei wichtig, da die Jugend die Zukunft einer Gesellschaft ist. Durch die neuen Medien bestehe die Gefahr der Zunahme von Jugendkriminalität. Auch deshalb sei ein Austausch mit Deutschland wichtig. Auf der deutschen Seite begrüßte Herr Yianni, Regierungsdirektor und Chinareferent des Referats für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit des Bundesministeriums für Justiz, die Teilnehmer und betonte die gute langjährige Zusammenarbeit, die durch einen Vergleich mit anderen Systemen jeweils Verbesserungen im eigenen Land anrege. Er führte aus, dass die Rechte der Jugend ein wichtiger Teil der Menschenrechten seien und dass dementsprechend auch das Jugendstrafrecht ein wichtiges Thema sei. Ziel des Austausches sei es, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei Themen wie Entwicklungen in der Jugendkriminalität und Präventionsmaßnahmen herauszufinden.
Im ersten Teil der Veranstaltung ging es um die Grundzüge des Jugendstrafrechts in China und Deutschland. Herr Christian Müller, Richter in Wuppertal, stellte im ersten Vortrag Prinzipien des deutschen Jugendstrafrechts, wie z.B. die Unterscheidung zwischen Jugendlichen und Heranwachsenden und die unterschiedliche strafrechtliche Behandlung beider Altersgruppen vor. Für den ersten chinesischen Vortrag sorgte Frau Liu Xi, Richterin der Kammer für jugendrechtliche Angelegenheiten des Mittleren Volksgerichts der Stadt Xi´an der Provinz Shaanxi. Sie stellte die Grundzüge des Jugendstrafrechts in China vor, die Entwicklungen des Jugendstrafrechts und Besonderheiten des Verfahrens vor. So sind Verhandlungen gegen Jugendliche – wie auch in Deutschland – nicht öffentlich. Es gehe vor allem um die Resozialisierung von Jugendlichen. Die deutsche Seite interessierte sich dabei besonders für die integrierten Kammern in China, die neben den Jugendstrafsachen auch zivil- und verwaltungsrechtliche Angelegenheiten von Jugendlichen bearbeiten und so eine Bündelung von Kompetenzen zu diesem Thema aufweisen. Weitere Themen der anschließenden Diskussion waren die chinesischen Regelungen zur Strafmündigkeit in China und die Fälle, in denen dort Täter ab 12 Jahren bestraft werden können. Dennoch gilt in beiden Ländern der Grundsatz „Erziehung statt Strafe“.
Zu aktuellen Entwicklungen im Jugendstrafrecht referierten Frau Wang Dandan, Richterin der 1. Strafkammer des Oberen Volksgerichts der Provinz Hainan, auf der chinesischen Seite und Herr Dr. Ralf Rose, Richter am Amtsgericht in Böblingen, auf der deutschen Seite. Frau Wang Dandan erklärte, dass es in China im Bereich der Jugendkriminalität zunehmend Eigentums- und Betrugsdelikte, aber auch mehr sexuelle Gewalt gibt. Dazu stellte Frau Wang einige Statistiken zur Kriminalität vor, unter anderem, dass die Zahl an Drogendelikten in Hainan seit einiger Zeit bei Null liegt. Herr Dr. Rose stellte die Entwicklungen bei der Jugendkriminalität in Deutschland vor: Eine gewisse Zunahme von Jugendkriminalität gab es 2015 kurz nach der Zunahme von Migration. Dies flachte jedoch bald wieder ab. In den letzten Jahren spielte die Covid-19 Pandemie eine größere Rolle als Faktor bei der Jugendkriminalität. Auch Kinderpornographie nimmt zu, welches aber auch mit einer Gesetzesänderung in diesem Bereich zu erklären ist. Die deutsche Delegation war vor allem von der Drogenstatistik der Kollegen aus Hainan beeindruckt. Als Erklärung diente, dass es in Hainan eine Kombination von Maßnahmen gab, die mit Aufklärung an der Schule beginnen. Es wurde erklärt, dass auch in China die Pandemie und dem damit erhöhten Konsum von Internet dafür sorgte, dass Jugendliche häufiger Opfer von Internetbetrug oder Pornographie wurden. Andere Fragen bezogen sich auf die Situation von Migranten in Deutschland, die unterschiedliche Handhabung von Delikten bei Erwachsenen und Jugendlichen, die Aufklärungsquote in China und auf Einzelheiten bei Eigentumsdelikten.
Der zweite Tag begann mit dem Themenblock zur Prävention von Jugendstraftaten mit einem Vortrag von Frau Hu Xueying, Richterin der Kammer für jugendrechtliche Sachen des Mittleren Volksgerichts der Stadt Hohhot des autonomen Gebiets Innere Mongolei. Frau Hu stellte die Entwicklungen in der Jugendkriminalität vor und die Maßnahmen, die die Richter ergreifen können um dagegen vorbeugend vorzugehen. Christian Pieper, Richter am Landgericht Siegen, stellte die deutsche Maßnahmen vor, unter anderem die Rolle der in einigen Bundesländern bestehenden Häuser des Jugendrechts, in denen Polizei, Jugendämter und Staatsanwaltschaften unter einem Dach zusammenarbeiten.
Als letztes Thema wurde die Reform des Jugendstrafrechts behandelt. Alex Theile, Richter am Amtsgericht in Weißwasser, stellte einige Statistiken zur Jugendkriminalität in Deutschland vor und kam zu dem Fazit, dass aus statistischer und kriminologischer Perspektive eher keine Reformen des Jugendstrafrechts erforderlich seien. Verfahrensrechtliche Reformen seien hingegen wünschenswert, damit es zu schnelleren Ermittlungen und zu unmittelbaren Sanktionen kommen könne. Frau Dr. Zheng Weimei, Leiterin der Abteilung für Abteilung für strafrechtliche Lehre und Forschung an der Nationalen Richterakademie, stellte die Reformen im Jugendstrafrecht in China vor. Dabei ging es neben der Änderung des Strafmündigkeitsalters auch um die optische Umgestaltung von Verhandlungssälen bei den Jugendgerichten, die dadurch jugendfreundlicher werden sollen. Die Teilnehmer diskutierten unter anderem die Möglichkeiten, gegen Jugendliche Bewährungsstrafen zu verhängen, die Absenkung des Strafmündigkeitsalters in China bei besonders schweren Verbrechen, die Beibehaltung der Altersgrenzen in Deutschland und die Rolle der Jugendämter in Deutschland.
Zum Abschied richteten Herr Yianni vom Bundesjustizministerium der Justiz und Frau Wang Xiaofang von der Nationalen Richterakademie ihre Schlussworte an die Teilnehmer. Die Bekämpfung und Verhinderung von Jugendkriminalität stellt danach in beiden Ländern ein aktuelles und wichtiges Thema dar. Trotz einiger Unterschiede im materiellen Recht wie im Verfahrensrecht gibt es auch vielen Gemeinsamkeiten der beiden Länder. Die Fortsetzung der Richterseminars im kommenden Jahr wird von beiden Seiten ausdrücklich begrüßt.