Am 27. und 28. April 2022 führte das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation der GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen Online-Workshop zur deutschen Einkommensteuergesetzgebung und -reform durch. Die Anfrage zur Veranstaltung kam von der Haushaltsarbeitskommission des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses der VR China. Sie geht auf das Interesse der chinesischen Regierung zurück, die eigene Einkommenssteuergesetzgebung zu reformieren und dabei auch internationale Erfahrungen und „best practices“ einfließen zu lassen. Die Haushaltsarbeitskommission ist bei bedeutenden finanz- und wirtschaftspolitischen Gesetzgebungsvorhaben von nationaler Tragweite in der Regel federführend und damit ein zentraler Partner des Rechtsprogramms der GIZ im Bereich der Normensetzung.
Eröffnet wurde der Workshop durch die stellvertretende Leiterin der Rechtsabteilung der Haushaltsarbeitskommission, Frau Cai Qiaoping. In ihrer Kurzvorstellung des chinesischen Einkommenssteuersystems kam Frau Cai sogleich auf einen der augenfälligsten Unterschiede zwischen den Einkommensteuersystemen beider Länder zu sprechen: Während die Einkommensteuer in Deutschland von allen Steuerarten die ertragsreichste ist, kommt ihr in China mit einem Anteil von rund acht Prozent am Gesamtsteueraufkommen bislang eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zu.
Im Zentrum der Veranstaltung stand in der Folge die Vorstellung ausgewählter Aspekte des deutschen Einkommenssteuersystems durch die Referenten Karl Ernst Blesinger und Dr. Sven Sobanski von der Bundesfinanzakademie im Bundesministerium der Finanzen.
Ein erster Teil verschaffte den chinesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen allgemeinen Überblick über das deutsche Einkommenssteuerrecht. Besonderen Wert legten die Experten dabei auf die der deutschen Einkommenssteuergesetzgebung zugrunde liegende Grundkonzeption, von der Definition des Kreises der Steuerpflichtigen bis hin zum Stellenwert des grundgesetzlich verankerten allgemeinen Gleichheitssatzes. Dieser Gleichheitssatz, so betonte Frau Cai Qiaoping in ihren Schlussworten zum Ende der Veranstaltung, sei auch für das chinesische Steuersystem bedeutsam und werde bei der geplanten Reform der Einkommenssteuergesetzgebung beachtet. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmer stieß vor allem der deutsche Grenzsteuersatz auf ein großes Interesse. Zwar durchlaufen Steuerpflichtige auch in China sämtliche vorgelagerte Tarifzonen, bevor der jeweils maßgebliche Grenzsteuersatz greift. Anders als in Deutschland wächst dieser mit zunehmendem Einkommen jedoch nicht graduell, sondern in Stufen. Die Vor- und Nachteile der jeweiligen Systeme wurden im Rahmen einer anschließenden Diskussion von deutscher und chinesischer Seite gemeinsam erörtert.
Der zweite Veranstaltungstag hatte die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen in Deutschland zum Gegenstand. Da das chinesische Interesse an diesem Thema von einer besonderen Detailtiefe geprägt ist, fanden hier zahlreiche bereits im Voraus mit den Referenten geteilte Fragen Eingang. So wurden etwa Methoden zur Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen, die Festlegung einer angemessenen Steuersatzhöhe für Einkünfte aus Kapitalvermögen und die Abgeltungswirkung der deutschen Kapitalertragsteuer vorgestellt. Anhand diverser konkreter Beispiele wurden wiederum Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und chinesischen Einkommenssteuersystem herausgearbeitet.
Die rund 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung kamen vorwiegend aus den Haushaltsarbeits- und der Rechtsarbeitskommissionen des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses sowie vereinzelt aus dem chinesischen Justiz- und Finanzministerium und aus der Staatlichen Steuerverwaltung. Eine Teilnehmerbefragung zu der Veranstaltung hat nicht nur gezeigt, dass sich das Verständnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur deutschen Einkommenssteuergesetzgebung wesentlich verbessert hat. Da die Veranstaltung auch das Interesse an einem erweiterten Austausch unterstrich, wird das Rechtsprogramm den fortlaufenden bilateralen fachlichen Austausch zum Thema auch künftig und unter Einbeziehung der Referenten vertiefen.