Vom 18. bis 22. September 2016 wurde an der Tagungsstätte Wustrau der Deutschen Richterakademie das 9. Deutsch-Chinesische Richterseminar abgehalten. Es war dem Thema „Öffentlichkeit und Verfahrensbeteiligte im Gerichtsverfahren“ gewidmet. Ausgerichtet wurde das Seminar auf deutscher Seite vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) sowie der Deutschen Richterakademie, auf chinesischer Seite von der Nationalen Richterakademie der VR China. Das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation war mit der fachlichen und organisatorischen Koordination des Seminars betraut. Von deutscher Seite nahmen 28 Richterinnen und Richter aller fünf Fachgerichtsbarkeiten aus dreizehn Bundesländern teil. Auf chinesischer Seite nahmen zwei Mitglieder des Lehrkörpers der Nationalen Richterakademie und vier Richter aus den Provinzen Gansu, Guangxi, Hunan und Jilin teil.
Das Seminar wurde am 18. September 2016 durch den Direktor der Deutschen Richterakademie und die Vertreter der Nationalen Richterakademie und des BMJV feierlich eröffnet. Nach der folgenden Vorstellungsrunde der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden die Fachthemen des Seminars in mehreren Workshops diskutiert. Zunächst beleuchteten Eingangsreferate beider Seiten die Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung im Zivilverfahren. Ein Schwerpunkt lag dabei auf den Aufgaben des Gerichts einerseits, der Rolle der Prozessparteien andererseits. Sodann wandten sich die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer der Rolle der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Justiz zu. Wesentliche Rechte und Berufspflichten der Rechtsanwaltschaft wurden an praktischen Beispielen diskutiert. Anschließend erörterte das Plenum – nach thematischer Vorbereitung in Kleingruppen –, durch welche Maßnahmen das Vertrauen der Rechtsanwaltschaft in die richterliche Tätigkeit erhöht werden kann.
Besonders deutlich wurden die Unterschiede zwischen chinesischer und deutscher Rechtspraxis bei dem folgenden Themenkomplex, welcher sich der medialen Übertragung von Gerichtsverfahren in Internet, Fernsehen und Rundfunk und der Veröffentlichung von Entscheidungen widmete. In China werden eine möglichst große Transparenz und eine umfassende Öffentlichkeit der Justiz durch Bild- und Tonaufzeichnung und Direktübertragung von Gerichtsverhandlungen angestrebt. Aus chinesischer Sicht liegt darin ein wesentlicher Beitrag zu einer besseren Kontrolle der Justiz durch die Öffentlichkeit. Insbesondere soll die mediale Übertragung von Verhandlungen auch der Korruptionsbekämpfung dienen. Demgegenüber herrscht in Deutschland eine größere Zurückhaltung gegenüber der Bild- und Tonaufzeichung und der medialen Übertragung von Verhandlungen. Bedenken wurden seitens der deutschen Teilnehmerschaft vor allem im Hinblick auf den Schutz von Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten, aber auch auf die Authentizität beispielsweise von Zeugenaussagen vor laufender Kamera geäußert. Auch Aspekte des Rechtsschutzes Verfahrensbeteiligter gegen mediale Berichterstattungen kamen in diesem Zusammenhang zur Sprache.
Im Rahmen einer Exkursion nach Berlin besuchten die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer das BMJV sowie die Pressestelle des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg. Dort diskutierten sie mit den Pressesprechern dreier Berliner Gerichte und der Generalstaatsanwaltschaft die Aufgaben der Pressesprecher in der deutschen Justiz und damit verbundene praktische Herausforderungen.
In einer Abschlussrunde in Wustrau am 22. September 2016 blickten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Ergebnisse des Seminars zurück und tauschten sich abschließend aus. Dabei bestand Einigkeit, dass der Austausch für beide Seiten wichtige neue Einblicke erbracht hatte.