Am 25. Mai 2022 richtete das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation der GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen Online-Dialog zum Thema „Klagen zum Klimaschutz“ aus. An der gemeinsamen Veranstaltung mit dem Obersten Volksgericht Chinas nahmen Richterinnen und Richtern sowie Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft beider Länder teil.
In den letzten Jahren hat die Zahl der Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel weltweit stark zugenommen. Infolgedessen spielt die Justiz eine immer wichtigere Rolle bei der Einforderung und Durchsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels. In China etwa plant das Oberste Volksgericht aktuell Leitlinien für die gerichtliche Umsetzung des Ziels der Kohlenstoffneutralität herauszugeben und eine Auslegung für zivilrechtliche Streitigkeiten um Waldressourcen zu veröffentlichen. Da das Oberste Volksgericht dabei auch internationale Expertise einfließen lassen möchte, fördert die GIZ den Austausch mit deutschen Rechtspraktikern und -wissenschaftlern. Zugleich ist es im Interesse Deutschlands, im Austausch mit China den Rechtsrahmen zum Schutz von Umwelt und Klima zu stärken.
Den für Klimaklagen maßgeblichen Rechtsrahmen setzt die Politik nicht zuletzt durch Klimaziele auf nationaler und internationaler Ebene. In ihren Begrüßungsworten betonte Frau Liu Zhumei, Leiterin der Kammer für Umwelt und Ressourcen des Obersten Volksgerichts, daher das Ambitionsniveau der chinesischen Klimaziele. Danach soll der Scheitelpunkt der CO2-Emissionen spätestens 2030 erreicht sein, zum Jahr 2060 soll das Land CO2-neutral sein. Ein zentraler Baustein der Minderungsstrategie ist das 2021 gestartete Emissionshandelssystem in Shanghai. Vor diesem Hintergrund gab Herr Li Mingyi, stellvertretender Kammerleiter, anschließend einen Überblick über maßgebliche rechtliche Vorschriften, wie etwa die im Dezember 2020 vom Ministerium für Ökologie und Umwelt verkündete Verwaltungsvorschrift zum Emissionshandel.
Als Vertreter der Oberen Volksgerichte Chinas stellten Herr ZHU Xinli, Vizepräsident des Oberen Volksgerichts der Provinz Zhejiang und Herr WANG Heng, Vizepräsident des Oberen Volksgerichts der Provinz Fujian, in der Folge ausgewählte Entscheidungen der Gerichte ihrer jeweiligen Provinzen zum Thema Klima- und Umweltschutz vor. Sie gingen dabei insbesondere auf strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Maßnahmen ein, denen in China zur Bekämpfung von Umweltschädigungen eine zunehmende Bedeutung beigemessen wird. So werden Unternehmen, die gegen umweltrechtliche Vorschriften verstoßen, etwa zum Bepflanzen ausgewählter Gebiete verpflichtet, was neben dem Klimaschutz auch der Biodiversität dienen soll.
Im Zentrum der deutschen Beiträge standen praktische Anwendungsfälle von Klimaklagen in Deutschland und Europa. Diese werden nach deutschem Verständnis unterteilt in gegen den Staat gerichtete „vertikale“- und gegen Unternehmen gerichtete „horizontale“ Klimaklagen. Herr Professor Claudio Franzius, Direktor der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht der Universität Bremen, verdeutlichte in seinem Vortrag die Bedeutung vertikaler Klimaklagen zur Wahrung der Grund- und Menschenrechte. So sind z.B. Menschen, die infolge klimabedingter Hitzewellen erkranken, in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit betroffen. Gerichte können daher den Gesetzgeber zur Nachbesserung des bestehenden Rechtsrahmens verpflichten – in Deutschland ist dies mit dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts 2021 bereits Realität geworden. Frau Elisabeth Fischer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an oben genannter Forschungsstelle, behandelte in ihrem Vortrag insbesondere den deutschlandweit ersten und aktuell noch anhängigen Fall einer horizontalen Klimaklage: Der peruanische Landwirt Saúl Luciano Lliuya verklagte den deutschen Energiekonzern RWE 2015 darauf, sich als Verursacher von Treibhausgasemissionen anteilig an den Kosten für klimabedingte Umbauarbeiten an seinem Grundstück zu beteiligen.
Was die Fachvorträge verdeutlicht haben, ist dass der Klimaschutz und dementsprechend auch der Begriff der Klimaklagen in China weiter gefasst wird als in Deutschland. Das hat zur Folge, dass viele der nach deutschem Verständnis dem Umweltschutz angehörenden Rechtsstreitigkeiten in China dem Klimaschutz zugeordnet werden. In der darauffolgenden Diskussion befassten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer deshalb nicht zuletzt mit der Definition von Klimaklagen in Abgrenzung zu Klagen mit anderen Rechtsschutzzielen. Ein weiterer Diskussionsschwerpunkt lag auf den in Europa laufenden bzw. bereits entschiedenen Verfahren in Sachen RWE und Shell. Ein materiell-rechtliches Problem, das sowohl in Deutschland als auch in China mit eben solchen horizontalen Klimaklagen einhergeht, betrifft nämlich die Frage, inwieweit einzelne Unternehmen tatsächlich für die Folgen des globalen Klimawandels haftbar gemacht werden können. Denn was beide Rechtssysteme gemein haben, ist das eine Haftung grundsätzlich einen Kausalitäts- und Zurechnungszusammenhang zwischen der Schädigungshandlung einerseits und dem Schaden andererseits erfordert.
Die chinesische Seite schlug abschließend vor, den Dialog insbesondere mit Blick auf Klagen im Zusammenhang mit dem Handel von CO2-Zertifikaten künftig zu vertiefen. Das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation wird den Dialog begleiten und fachlich unterstützen.