Im November 2019 führte eine Fachinformationsreise des Deutsch-Chinesischen Programms Rechtskooperation zur „Struktur- und Regionalförderung“ eine Delegation der Forschungsabteilung der Rechtsarbeitskommission (LAC) des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses unter Leitung von Frau Jia Hongmei nach Deutschland und Spanien. Die rapide wirtschaftliche Entwicklung der letzten 40 Jahre hat ein großes Entwicklungs- und Wohlstandsgefälle zwischen dem boomenden Osten des Landes auf der einen und Zentral- und Westchina auf der anderen Seite entstehen lassen. Zudem sind gerade in den schwerindustriell geprägten Landstrichen Nordostchinas erste Anzeichen für einen bevorstehenden Strukturwandel zu sehen. Die chinesische Regierung will deshalb in den nächsten Jahren eine moderne Struktur- und Regionalförderung sowie das dafür erforderliche gesetzliche Rahmenwerk aufbauen. Als Vorbild blickt man nach Europa und aufgrund der besonders reichen Erfahrungen nicht zuletzt nach Deutschland.
Die Forschungsabteilung der Rechtsarbeitskommission leistet für den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses Grundlagen- und Vorbereitungsarbeit für die gesetzgeberische Arbeit. Sechs Beamtinnen und Beamten der Forschungsabteilung bildeten die Delegation für die Fachinformationsreise. Am Anfang des Besuchsprogrammes stand ein Termin bei der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin. Hier brachte Nora Hesse, ihres Zeichens Senior Economic Advisor der Europäischen Kommission in Deutschland der Delegation näher, wieso sich Struktur- und Regionalförderung in der Europäischen Union nicht ohne eine europäische Regelgebung denken lassen. Mit der Kohäsionspolitik der Europäischen Union und den damit verbundenen Rechtsakten werden die Grundlagen für die Umsetzung entsprechender Maßnahmen in den Mitgliedstaaten gelegt und die nationalen Programme aufeinander zentral abgestimmt. Neben den Regeln kommen auch die Mittel aus Brüssel – im laufenden Förderzeitraum 2014-2020 machen diese ca. ein Drittel des Gesamthaushaltes der EU aus. Wichtiger Gegenstand der abschließenden Diskussion waren die Mechanismen der Europäischen Kommission, mit denen eine bestimmungsgerechte und wirksame Mittelverwendung sichergestellt werden soll.
Im Anschluss hatten sich im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), gleich zwei Referate Zeit genommen, um die Ansätze der Bundesregierung in der Regional- und Strukturpolitik und deren rechtliche Umsetzung zu erläutern. Karin Scheffel, Leiterin des Referats E A 3 (Koordinierung EU-Kohäsions- und Strukturpolitik) und ihre Referentin Ulrike Schreckenberger stellten ausgehend von den Partnerschaftsvereinbarungen zwischen Europäischer Kommission und dem Mitgliedstaat Deutschland zur Umsetzung der europäischen Kohäsionspolitik, die Rolle des BMWi vor. Neben der Partnerschaftsvereinbarung ist wesentlicher Teil der Aufgaben die Vertretung Deutschlands in der Ratsarbeitsgruppe Strukturpolitik. Dort werden die Verhandlung über die einschlägigen Verordnungen für die jeweiligen Förderperioden der Kohäsionspolitik verhandelt. Dr. Julian Donaubauer (Referat I B 3, Regionale Wirtschaftspolitik) erläuterte im zweiten Vortrag des Termins im BMWi die nationale Regionalpolitik. Deren Aufgabe es ist, durch Förderung strukturschwacher Regionen in Deutschland darauf hinzuarbeiten, gleichwertige – nicht gleiche – Lebensverhältnisse zu schaffen. Die Erfahrungen in den vergangenen Jahrzehnten, die Dr. Donaubauer mit der Delegation teilen konnte, haben dazu geführt, dass sämtliche Programme streng regelbasiert aufgelegt werden: Es gibt feste, gleich zu Beginn festgelegte Kriterien für die Mittelzuteilung, was die Planungssicherheit fördert und politische Einflussname verhindert. Zudem stellt der Bund nur die Hälfte der notwendigen Mittel zur Verfügung, um sicherzustellen, dass nur sinnvolle Projekte gefördert werden und die föderale Eigenverantwortlichkeit gewahrt bleibt. Regelmäßige Evaluierungen durch externe Gutachter sichern eine ordnungsgemäße Mittelverwendung weiter ab.
Die nächste Station der Delegation war Düsseldorf und dort das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Das dortige Gespräch mit Vertretern der Verwaltungsbehörde für den Europäischen Fonds für die Regionale Entwicklung (ERFE) hatte die Perspektive des Bundeslandes auf die Umsetzung der Regionalförderung zum Gegenstand. Erläutert wurden das Zusammenspiel der einzelnen Beteiligten Stellen aus Wirtschaft und Verwaltung sowie die Mittelzuteilung und Rechenschaftslegung bzw. Evaluierung. Auch die Verteilung der Mittel, die vom Land NRW mit der Europäischen Kommission für die derzeitige Förderperiode vereinbart worden ist wurde diskutiert: 40 % sind für Innovation reserviert, 15 % für die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, 25 % müssen dem Klimaschutz zugute kommen und 20 % dienen der Stadtentwicklung. Den Abschluss der Gesprächsrunde bot – neben dem spektakulären Blick über Düsseldorf und den Rhein – noch einen weiteren Ausblick. Für die 2021 beginnende nächste Förderperiode laufen derzeit nämlich die Gespräche mit allen Beteiligten, Stakeholdern und Interessierten, wie das Programm für die Jahre 2021 bis 2028 aussehen soll. Insbesondere die Öffentlichkeitsbeteiligung ist hier wichtig.
In Duisburg – der Partnerstadt des chinesischen Wuhan – sah sich die Delegation zunächst den Innenhafen und damit ein mit Mitteln der Regionalförderung umgesetztes Projekt des Strukturwandels an. Danach empfing sie im historischen Duisburger Rathaus der Beigeordnete für Wirtschaft und Strukturentwicklung, Andree Haack. Er stellte zusammen mit dem Leiter der Regionalagentur Niederrhein, Gabriel Spitzner, die regionale und lokale Perspektive auf die Regional- und Strukturförderung vor. Schwerpunkte des Gespräches waren die Bedeutung der Regionalfördermittel für eine vom Strukturwandel besonders betroffene Stadt, die Regelungen für die Beteiligung der Stadt an Regionalförderprojekten und die Nachweisbindung der zugeteilten Mittel.
Aus einer ganz anderen Perspektive konnte die Delegation im Anschluss auf die Struktur- und Regionalförderung blicken. An der Universität Duisburg-Essen eröffnete Prof. Dr. Tobias Seidel nämlich die Perspektive der Wissenschaft. Er führte die politische Notwendigkeit der Regionalpolitik auf den sich schon seit vorgeschichtlicher Zeit entfaltenden Siedlungsdruck in Städte zurück: Städte und Agglomerationen bieten Menschen zusätzlichen Nutzen, der mit ihrer Größe grundsätzlich wächst und zusätzliche Menschen anzieht. Die wissenschaftliche Begleitung der Regionalpolitik hat gezeigt, dass nicht alle Maßnahmen wirkungs- und sinnvoll sind. Verhältnismäßig gut funktionieren Anschubfinanzierungen wie Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen zur Anbindung des Umlandes an regionale Zentren und die gezielte Ansiedlung öffentlicher Einrichtungen (Universitäten, Behörden) in der Fläche, mit denen Arbeitsplätze und Nachzugeffekte ausgelöst werden.
Den letzten Tag in Deutschland leitete ein Besuch beim Regionalverband Ruhr ein. Hier erläuterte Michael Bongartz, wie sich Vorgaben der Regional- und Strukturförderung auf die Regionalplanung auswirken. Hier gilt es nämlich nach genauen gesetzlichen Vorschriften und in vorgegebenen Verfahren, die politischen Vorgaben planerisch umzusetzen und so festzulegen. Wichtig ist hierbei insbesondere die Beteiligung der Öffentlichkeit, die beim derzeit in Aufstellung befindlichen Regionalplan Ruhr zu 5.000 Stellungnahmen und über 10.000 Argumenten geführt hat, mit denen sich der Regionalverband nunmehr auseinander setzen muss. Gelingt dies nicht entsprechend der gesetzlichen Anforderungen, steht auch einzelnen Bürgern der Klageweg offen. Dies kann dazu führen, dass das gesamte Verfahren – unter Beseitigung der gerichtlich monierten Fehler – erneut geführt werden muss.
Zum Abschluss sah sich die Delegation mit dem Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen noch ein Beispiel für erfolgreichen Strukturwandel an. Einst eine Zeche und Kokerei, ist das unter Denkmalschutz stehende Gelände nunmehr Museum, Ort für Unternehmensansiedlungen und Kultur.
Von Deutschland nach Spanien weitergereist, erwarteten noch zwei weitere Fachtermine die Delegation. Zunächst hieß der stellvertretende Stabschef des spanischen Finanzministeriums, Herr César Veloso, die Delegation willkommen. Zusammen mit seinen Kollegen stellte er die Sicht der spanischen Regierung auf die Regionalförderungsinstrumente der Europäischen Union und die Umsetzung der Struktur- und Regionalförderung durch die spanische Zentralregierung und die Regionen vor. Den Schlusspunkt setzte wiederum die Wissenschaft. Prof. Dr. Francisco Velasco, der an der Universidad Autonoma de Madrid forscht und lehrt, jedoch in Deutschland promoviert wurde und somit mit beiden Ländern vertraut ist, diskutierte mit der Delegation die juristischen Hintergründe der Regeln zur Struktur- und Regionalförderung beider Länder lebhaft und in großem Detailreichtum.