Am 19. und 20. Juli 2023 führte das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation der GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im „German Center“ in Peking einen Workshop zum Thema „nichtsteuerliche Einnahmen“ durch. Die Hybrid-Veranstaltung mit virtueller Zuschaltung der Expertinnen und Experten aus Deutschland wurde gemeinsam mit der Haushaltsarbeitskommission des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses der VR China durchgeführt, die bei finanz- und hauspolitischen Gesetzesvorhaben meist federführend ist. Das chinesische Interesse am Veranstaltungsthema geht nicht zuletzt darauf zurück, dass es in China an einer einheitlichen gesetzlichen Grundlage für nichtsteuerliche Einnahmen fehlt, die stattdessen durch zahlreiche sich teils widersprechende Verordnungen des Staatsrats geregelt sind. Der Nationale Volkskongress hat die Gesetzgebung zum Thema deshalb zur Reformpriorität erklärt.
Eröffnet wurde der Workshop auf deutscher Seite durch den Leiter des Rechtsprogramms der GIZ, Herrn Dr. Marco Haase, sowie auf chinesischer Seite durch den Leiter der Rechtsabteilung der Haushaltsarbeitskommission, Herrn Wang Wenyue. Die Eröffnungsworte spiegelten die beiderseitige Freude darüber wider, nach Jahren der Pandemie-bedingten Verlagerung auf virtuelle Austauschformate das erste Mal wieder in Person zusammenzukommen. Herr Wang Wenyue sprach der GIZ darüber hinaus seine Wertschätzung für die bisherige Kooperation aus: Seit 2003 habe man diese Bereich der Steuergesetzgebung durch diverse Workshops und Dialogveranstaltungen vertieft und die Vermittlung deutscher Rechtslösungen wirke sich bereits heute positiv auf die Qualität der chinesischen Gesetzgebung aus. Die Tradition, bei Gesetzes-reformen auch Rechtslösungen und Umsetzungserfahrungen aus Deutschland einfließen zu lassen, habe sich bewährt.
Foto 1: Gruppenfoto am ersten Veranstaltungstag
Herr Su Dacheng, Referatsleiter der Rechtsabteilung von BAC, hob in seinem Einführungsvortrag die herausragende Bedeutung hervor, die den nichtsteuerlichen Einnahmen in der Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen zukomme: Mit etwa €1,6 Billionen betrug deren Anteil im Jahr 2022 demnach rund 40% aller Staatseinnahmen. Neben dem Verkauf von Landnutzungsrechten machten dabei Verwaltungsgebühren und sogenannte zweckgebundene Regierungsfonds [z. B. der Entwicklungsfond für erneuerbare Energien] den größten Anteil aus. Weiterhin gab er den Teilnehmenden einen Überblick über die aktuelle Rechtsgrundlage wichtiger nichtsteuerlichen Einnahmen in China. Da diese derzeit jedoch v. a. als alleinstehende Regelungen des Staatsrate existierten, die zudem teils veraltet und widersprüchlich sein, stünde die Arbeit an einem grundlegenden Regelwerk im Fokus der Haushaltsarbeitskommission. Von dem Workshop erhoffe er sich nicht zuletzt Denkanstöße dazu, wie die Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit auf dem Gebiet gestärkt werden könne.
Im Mittelpunkt des ersten Veranstaltungstags stand sodann ein einführender Fachvortrag von Frau Prof. Dr. Gisela Färber, Professorin an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Deutlich wurde nicht nur, dass den nicht-steuerlichen Einnahmen im „Steuerstaat“ Deutschland mit knapp 4% eine vergleichsweise untergeordnete fiskalische Bedeutung zukommt. Aus der Einführung in die theoretischen Grundlagen der staatlichen Entgelteinnahme ging auch der Grund dafür hervor: Der deutsche Staat finanziert sich überwiegend nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, was eine Entgeltfinanzierung über nichtsteuerliche Einnahmen ausschließt. Letztere sei in Deutschland nur dann ausnahmsweise möglich, wenn sich entweder (a) der Staat selbst marktwirtschaftlich betätige, oder aber (b) das Ausschlussprinzip (d. h. der Ausschluss von Nichtzahlern von bestimmten Leistungen) anwendbar sei. Die Höhe nichtsteuerlicher Einnahmen richte sich bei den klassischen Benutzungsgebühren nach Art und Umfang der Kostenverursachung (bspw. Abfallgebühr); bei den Verwaltungsgebühren (bspw. Gebühr für Baugenehmigung) entspreche sie dagegen einer Mutmaßung des durch die staatliche Leistung verursachten Nutzens.
Ein Blick auf die Einnahmen der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden (siehe Folie) zeigte weiterhin deutlich, dass den nichtsteuerlichen Einnahmen auf kommunaler Ebene eine verhältnismäßig größere Bedeutung zukommt. So wird hier nicht nur ein Groß der Gebühren der öffentlichen Daseinsvorsorge erhoben. Die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen geht in den Kommunen oft auch mit einer größeren wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates einher. Zwar bestehe im Bereich der nichtsteuerlichen Einnahmen in Deutschland anders als in China kein umfassender Reformbedarf als in China, da eine einheitliche Rechtsgrundlage existiere und die Kommunen mit Gewerbe- und Grundsteuer sowie mit Anteilen am Einkommens- und Umsatzsteueraufkommen grundsätzlich über stabile Einnahmen verfügten. Dennoch gäbe es punktuell immer wieder kontroverse Diskussionen zum Thema. Dazu gehörten die laufende Debatte um die Erweiterung der Autobahn- und Schellstraßengebühren auf Pkw sowie wiederholt auch Gerichtsverfahren gegen überzogene Kostenberechnungen bei den großen Benutzungsgebühren der öffentlichen Daseinsvorsorge, die in Deutschland oftmals von den Nutzern gewonnen würden.
Moderiert durch Herrn Manuel Holtmann (GIZ) entwickelte sich unter den Teilnehmern im Anschluss eine rege Diskussion, in der nicht zuletzt zwei Aspekte vertieft wurden: So zeigte die chinesische Seite erstens ein besonderes Interesse an der Tatsache, dass Verwaltungsgebühren in Deutschland nicht nach dem Kostendeckungsprinzip berechnet werden sowie an der damit einhergehenden Frage, wie die Höhe des durch die staatliche Leistung verursachten Nutzens denn seriös beziffert werden könne. Zweitens wurde gemeinsam erörtert, warum Gebühreneinnahmen im Zuge der Privatisierung von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge häufig nicht in den Kassenstatistiken zu finden sind.
Foto 2: Die Referent*innen: Frau Prof. Färber (oben links); Herr Kraulich (unten links) und Frau Dr. Lohse (unten rechts)
Der zweite Veranstaltungstag wurde von Frau Cai Qiaoping, stellvertretende Leiterin der Rechtsabteilung von BAC, moderiert und hatte zuvorderst den Rechtsrahmen nichtsteuerlicher Einnahmen in Deutschland zum Gegenstand. Da Bundesländer eine eigene- und Gemeinden eine abgeleitete Finanzhoheit besitzen, und da den nichtsteuerlichen Einnahmen auf kommunaler Ebene eine besondere fiskalische Bedeutung zukommt, wurde der Rechtsrahmen exemplarisch am Beispiel Hessens und der hessischen Kommunen erörtert. Mit Herrn Patrik Kraulich, Leiter des Referats „Kommunalfinanzen I“, sowie mit Regierungsrätin Frau Dr. Ina Lohse konnte die GIZ dazu zwei Referent*innen mit exzellenten Einblicken aus der Verwaltungspraxis gewinnen. Im Laufe des Vormittags stellten diese Auszugsweise das Hessische Verwaltungskostengesetz und das Kommunalabgabengesetz als primäre- sowie das Verwaltungsvollstreckungsgesetz samt Vollstreckungskostenordnung als sekundäre Rechtsgrundlagen für Gebühren und Auslagen in Hessen vor.
Foto 3: Aus dem Vortrag zum Hessischen Verwaltungskostengesetz
Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung von Staatsunternehmen sowie der sogenannten „zweckgebundenen Regierungsfonds“ in China gingen die Referenten zuletzt vertieft auf den Rechtsrahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Landes Hessen (z. B. Fraport) sowie auf die Sonderabgaben ein. Letztere seien – ähnlich der zweckgebundenen Regierungsfonds –nur dann zulässig, wenn die Gruppe, der die Sonderabgaben auferlegt wird, eine spezifizierbare Beziehung zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck aufweist (z. B. Fischereiabgaben). In der anschließenden Diskussion fand dann auch das Urteil des Bundesverfassungsgericht besondere Beachtung, wonach allen Haushaltsplänen zur Stärkung der Transparenz und parlamentarisch-demokratischen Legitimation eine Dokumentation über alle Sonderabgaben beizufügen ist (siehe Vortrags-Folie).
Foto 4: Auszug „Sonderabgaben“ aus dem Hessischen Haushaltsplan 2023/24
In ihren Schlussworten resümierte Frau Cai Qiaoping dass sich die anfängliche Sorge, dass die Unterschiede bei der Regelung nichtsteuerlicher Einnahmen in China und Deutschland zu groß sein, um in einen gewinnbringenden Austausch zum Thema zu treten, zu keiner Zeit bestätigt hätten. Im Gegenteil seien bestehende Gemeinsamkeiten etwa bei den Arten und der Erhebung teils so groß, dass die chinesische Seite Anstöße für in China unmittelbar anwendbare Reformen nach deutschem Vorbild erhalten habe. Dazu gehöre nicht zuletzt die theoretische Grundlage der Unterscheidung zwischen Steuern und Abgaben, nämlich die zwischen Leistungsfähigkeitsprinzip einerseits und Äquivalenzprinzip andererseits. Darüber hinaus habe sie aus der Veranstaltung neue Motivation geschöpft, in China die Erarbeitung eines Verwaltungskostengesetzes voranzutreiben.
Die rund 20 chinesischen Teilnehmenden kamen vorwiegend aus der Haushaltsarbeitskommission und der Rechtsarbeitskommission des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses sowie vereinzelt von der Nationalen Kommission für Entwicklung und Reform (NDRC), dem Justizministerium (MoJ), dem Finanzministerium sowie von der Staatlichen Steuerverwaltung. Eine Teilnehmerbefragung zu der Veranstaltung hat gezeigt, dass sich das Verständnis der nichtsteuerlichen Einnahmen unter den Teilnehmenden wesentlich verbessert hat. Da zudem verschiedentlich Interesse an einem fortlaufenden Dialog im Bereich der Steuergesetzgebung unterstrichen wurde, wird das Rechtsprogramm der GIZ den bilateralen Austausch auch künftig unterstützen.