Vom 21. bis 25. September 2015 fand an der Nationalen Richterakademie der VR China in Peking das 8. Deutsch-Chinesische Richterseminar statt. Das diesjährige Thema war „Die richterliche Professionalität und die richterliche Berufsethik“. Ausrichter waren – wie schon in den Vorjahren – die Nationale Richterakademie der VR China und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation war mit der fachlichen und organisatorischen Koordination des Seminars betraut. Von deutscher Seite nahmen fünfzehn Richterinnen und Richter der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit aus sieben Bundesländern teil. Auf chinesischer Seite nahmen 32 Richterinnen und Richter aus Volksgerichten verschiedener Ebenen aus 31 Provinzen und einer Sondergerichtsbarkeit teil.
Das Seminar wurde am 21. September 2015 durch die Stellvertretende Leiterin der Abteilung für internationale Angelegenheiten des Obersten Volksgerichts der VR China, Frau Wang Yun, feierlich eröffnet. Vertreter der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der VR China, des BMJV und der Nationalen Richterakademie der VR China hießen die Teilnehmer im Namen der Ausrichter des Seminars willkommen.
Zum Auftakt stellten ein deutscher und ein chinesischer Teilnehmer in einem allgemeinen Überblick die Gerichtsorganisation in Deutschland bzw. in der VR China vor. Bereits in diesen Eingangsreferaten kamen Fragen zur Sprache, die derzeit Themen der Justizreform in der VR China sind, wie z.B. die Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung sowie die Trennung der Justiz von der Verwaltung.
Gegenstand des folgenden Workshops waren die Juristenausbildung und das Einstellungsverfahren. Die deutsche Referentin stellte kurz die Ausbildung der Juristen in Deutschland und das Einstellungsverfahren für den höheren Justizdienst in den Bundesländern am Beispiel der Freien und Hansestadt Hamburg vor. Die chinesische Referentin bot ihrerseits einen Überblick über das Einstellungsverfahren in der VR China und thematisierte aktuelle Verbesserungsvorschläge. Dabei zog sie auch einen Vergleich zwischen der chinesischen Praxis mit dem Einstellungsverfahren in unterschiedlichen ausländischen Rechtsordnungen.
Am 22. September 2015 folgte ein Workshop zum Thema „Anforderungen an die mündliche Verhandlung“. Der deutsche Referent erläuterte zunächst den Mündlichkeitsgrundsatz und die geltenden Ausnahmetatbestände zu diesem Grundsatz. Sodann stellte er den typischen Ablauf einer mündlichen Verhandlung im Zivilprozess dar. Der chinesische Referent hob in seinem Eingangsreferat die Bedeutung des menschlichen Umgangs mit den Verfahrensbeteiligten, der strikten Einhaltung der Verfahrensvorschriften und einer hohen Fachkompetenz der Richterschaft hervor. In der folgenden Diskussion traten insbesondere unterschiedliche Auffassungen zum Umfang der Hinweispflicht zutage. Während in Deutschland die Hinweispflicht des Gerichts in den Verfahrensordnungen verankert ist und Hinweise dementsprechend gang und gäbe sind, zeigt sich die chinesische Praxis insoweit eher zurückhaltend. Seitens chinesischer Teilnehmer wurde die Befürchtung geäußert, dass Hinweise des Gerichts den Anschein der Befangenheit erwecken könnten; zudem seien falsche Hinweise mögliche Rechtsmittelgründe. Weitere Themen der Diskussion waren gerichtliche Vergleiche sowie das Verhältnis zwischen richterlichem und nichtrichterlichem Personal.
Im Mittelpunkt eines darauffolgenden Workshops, der zunächst durch Kleingruppenarbeit vorbereitet wurde, standen die Anforderungen an das gerichtliche Urteil. Die deutschen Gruppen setzten dabei einen Schwerpunkt auf die Formalien des Urteils. Die chinesischen Gruppen gingen vor allem auf die inhaltlichen Anforderungen – logischer Aufbau, neutraler und sachlicher Sprachstil – ein. Unterschiede ergaben sich beispielsweise bei der Frage, ob im Urteil Rechtsprechung und Literatur zitiert werden sollen. In Deutschland ist dies selbstverständlich, in der VR China bestehen dagegen Bedenken.
Am Nachmittag besuchten die deutschen Teilnehmer das Untere Volksgericht des Pekinger Bezirks Xicheng. Dabei fiel vor allem die technische Ausstattung des Gerichts ins Auge. Gerichtsverhandlungen werden innerhalb des Gerichts übertragen, um die Transparenz der Verhandlung sicherzustellen und der Gerichtsleitung Kontrollmöglichkeiten zu eröffnen. Besonderes Interesse fand auch der Servicebereich des Gerichts, wo zwei Richterinnen Rechtsfragen von Bürgern im Sinne einer öffentlichen Rechtsauskunft beantworten.
Der erste Teil des folgenden Seminartags, 23. September 2015, war dem Thema „Mediation und Vergleich“ gewidmet. Vorträge von Referenten beider Seiten erörterten die verschiedenen Möglichkeiten der gütlichen Streitbeilegung, die in beiden Ländern eine große praktische Bedeutung hat, jedoch unterschiedlich ausgestaltet ist. So ist in China in vielen Fällen eine vorgerichtliche Schlichtung verbindlich vorgeschrieben (sog. Volksmediation).
Sodann diskutierten die Seminarteilnehmer das Thema „Qualitätssicherung der richterlichen Tätigkeit“. Es bestand Einigkeit darüber, dass ein durchdachtes und gut organisiertes Personalauswahlsystem, regelmäßige Fortbildungen und eine angemessene Besoldung wichtige Elemente der Qualitätssicherung der Rechtsprechung sind. Besonders lebhaft wurde diskutiert, wie eine Supervision ausgestaltet sein sollte. Auch das Beurteilungswesen war Gegenstand eines intensiven Austausches.
Im Workshop zur „Rolle der Richterinnen und Richter in der Justiz – richterliches Selbstverständnis“ stellten die Teilnehmer die hohe gesellschaftliche Verantwortung des Richters heraus. Empathie, Belastbarkeit, Selbstdisziplin und Neutralität waren Eigenschaften, die dem „idealen Richter“ zugeschrieben wurden.
Am 24. September 2015 diskutierten die Teilnehmer zunächst die „Kontrolle der Gerichte durch die Öffentlichkeit und die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter“. Der Vortrag der deutschen Referentin stellte die Legitimation gerichtlicher Entscheidungen, eine größere Praxisnähe sowie bessere Transparenz und Kontrolle als Ziele der Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung heraus. Nach chinesischem Verständnis dient die Beteiligung sog. Volksschöffen vor allem der Demokratisierung der Justiz und der Kontrolle der Justiz durch die Öffentlichkeit.
Im folgenden Workshop wurden „Reformüberlegungen zur Öffentlichkeit der Justiz“ in beiden Ländern erörtert. Auf deutscher Seite standen dabei aktuelle Überlegungen zur Neufassung des § 169 Satz 2 GVG (Verbot von Bild- und Tonaufnahmen in der Gerichtsverhandlung) im Mittelpunkt. Anschließend stellte der chinesische Referent Reformüberlegungen zu einer verbesserten Öffentlichkeit der chinesischen Justiz dar. In diesem Zusammenhang erläuterte er den derzeit betriebenen Aufbau dreier Plattformen zur Förderung der gerichtlichen Öffentlichkeit (bezüglich Verfahrensablauf, Urteilen und Vollstreckung). In der folgenden Diskussion kristallisierte sich als bedeutsamer Unterschied zwischen den beiden Ländern der unterschiedliche Umgang mit der technischen Übertragung von Gerichtsverhandlungen dar. Während Bild- und Tonaufnahmen in Deutschland in der Gerichtsverhandlung verboten sind, lässt die in der VR China geltende Rechtslage solche Aufnahmen ausdrücklich zu. Bestimmte Verhandlungen von besonderem öffentlichem Interesse können in der VR China sogar im Internet auf Live-Streams verfolgt werden.
Das Seminar klang am 25. September 2015 mit einer Plenumsrunde aus, in der die erzielten Ergebnisse zusammengefasst wurden.