Vom 15. bis 22. Oktober 2023 besuchte eine sechsköpfige Delegation der Haushaltsarbeitskommission (BAC) des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses Deutschland und Portugal. Thema der Fachinformationsreise war der Umgang mit öffentlichen Schulden auf subnationaler Ebene.
Zum chinesischen Interesse am Thema: Das Wachstumsmodell der Volksrepublik China ist traditionell in hohem Maße auf Investitionen der Lokalregierungen angewiesen, welche damit die ambitionierten Wachstumsziele der Zentralregierung erfüllen. Weil Peking den Lokalregierungen zugleich Kreditaufnahmegrenzen auferlegt, haben diese mit sog. „Local Governance Financial Vehicles“ (LGFV) in großem Umfang Finanzierungsinstrumente geschaffen, die in den Haushalten nicht erscheinen. Die Folge: Während Chinas Staatsschuldenquote 2022 mit 51% des Bruttoinlandprodukts (BIP) offiziell unter dem OECD-Durchschnitt lag, rechnet der Internationale Währungsfonds damit, dass LGFVs rund 66 Billionen RMB an Schulden halten, also noch einmal rund 50% des BIP. In Folge der Coronapandemie sehen sich Lokalregierungen heute mit einer Dreifachherausforderung aus Mehrausgaben zur Konjunkturbelebung, einem Einbruch der Einnahmen durch die Immobilienkrise, und einer Rekordzahl fälliger Kommunalanleihen konfrontiert. Dass Peking die Herausforderung anerkennt, unterstrich zuletzt die Veröffentlichung einer Leitlinie der Kommunistischen Partei „zur Stärkung der Überprüfung und Überwachung der Staatsverschuldung durch den lokalen Volkskongress“.
Vor diesem Hintergrund ist die bei finanz- und wirtschaftspolitischen Gesetzesentwürfen meist federführende Haushaltsarbeitskommission beauftragt, Vorschläge zur Stärkung des Rechtsrahmens der Staatsverschuldung zu erarbeiten. Dabei lässt BAC auch Erfahrungen aus dem Ausland einfließen und schaut besonders auf Erfahrungen aus Deutschland als Beispiel eines wirtschaftsstarken, föderalistischen Staats sowie aus Portugal, das seit der Eurokrise bemerkenswerte Fortschritte beim Schuldenabbau erzielen konnte. Um das Verständnis der Gesetzgebung beider Länder, der Befugnisse der verschiedenen Ebenen bei der Aufnahme und beim Management von Schulden sowie zum Umgang mit Haushaltnotlagen zu fördern, organisierte das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation der GIZ im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine einwöchige Fachinformationsreise nach Deutschland und Portugal. Der Delegation gehörten sechs Fach- und Führungskräfte der Haushaltsarbeitskommission an, darunter der Leiter der Prüfungsabteilung für Haushalt und Rechtslegung, Herr HE Chengjun.
Foto 1: Gruppenfoto vor dem Erkersaal des Bayerischen Landtags
Auf ihrer ersten Station in München traf die Delegation sowohl auf die beiden Vorsitzenden des Ausschusses für Staatshaushalt und Finanzfragen des Bayerischen Landtags, als auch auf den Stadtkämmerer der Landeshauptstadt. Beim Gespräch mit den Abgeordneten Josef Zellmeier und Claudia Köhler erhielt die Delegation Einblicke in die Haushaltsplanung des deutschen Bundeslands, aus dem vor rund 20 Jahren die politische Initiative für die Einführung der „Schuldenbremse“ kam, und das sich noch heute für seine tragfähige und generationengerechte Haushaltspolitik rühmt. Darüber hinaus erlaubte die Diskussion erste Einblicke in die Unterschiede, die entlang der deutschen Parteienlandschaft hinsichtlich der Ausgestaltung der Schuldenbremse bestehen. Der anschließende Besuch im „neuen Rathaus“ brachte dann den Perspektivwechsel auf die kommunale Ebene mit sich. Beim Austausch mit Stadtkämmerer Christoph Frey und seinem Team stand nicht zuletzt die Frage im Mittelpunkt, wie die Stadt München mit den haushaltspolitischen Herausforderungen im Zuge der Pandemie umgegangen ist. Abgerundet wurde der Besuch von einer Tour durch das Rathaus, welche die Delegation sogar auf den von Siegesfeiern des FC Bayern München weltweit bekannten Balkon führte.
Foto 2: Rede von Herrn Stadtkämmerer Christoph Frey im Neuen Rathaus von München
Die zweite Station der Delegationsreise war Erfurt. Im Landesparlament des Freistaats Thüringen wurde die Delegation von den Abgeordneten Volker Emde und Jens Cotta empfangen. Bei dem Arbeitsgespräch standen die laufenden Haushaltsverhandlungen im Fokus, zu der parallel die Minderheitenregierung der Fraktion DIE LINKE mit den Fraktionen der SPD und von Bündnis90/Die Grünen beriet. Gerade weil die Delegation deshalb nur auf Abgeordnete der Opposition traf, wurde nicht zuletzt die Frage erörtert, welche Wege letzterer im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland zur Beeinflussung des Haushalts zur Verfügung stehen. Abgerundet wurde der Besuch durch eine Führung durch das Landtagsgebäude, das im Laufe seiner Geschichte nicht nur von den Nazis genutzt sondern auch von der DDR-Regierung als Foltergefängnis missbraucht wurde, und dessen Besuch der Delegation deshalb auch ein Stück gelebte deutsche Erinnerungskultur zu vermittelten mochte. Im Anschluss durfte die Delegation das Thüringer Finanzministerium besuchen und erhielt so einen Blick in den „Maschinenraum“ der Haushaltsplanung. Von den haushaltspolitischen Herausforderungen im Übergang von sozialistischen zu marktwirtschaftlichen Systemen bis hin zu Details des Handels mit Landesschatzzuweisungen war das Gespräch zugleich von einer großen Offenheit und fachlichen Tiefe geprägt.
Die dritte und letzte Station in Deutschland führte die Delegation in die Bundeshauptstadt Berlin. Im Bundesministerium der Finanzen (BMF) traf die Delegation auf alte Bekannte, da das Haus lange Jahre Fortbildungen für Vertreter der Haushaltsarbeitskommission durchgeführt hatte. Im Zentrum des Austausches stand einerseits die Rolle des BMF in der Haushaltsvorbereitung und -durchführung sowie andererseits die Funktionsweise des Stabilitätsrats zur Sicherstellung der Haushaltsdisziplin von Bund und Ländern. Von besonderem Interesse für die Delegation war dabei nicht zuletzt die Kontrolle von Kommunalschulden im allgemeinen und der Umgang mit den im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zum Sinnbild kommunaler Verschuldung mutierten „Kassenkredite“. Dass die Delegation am Nachmittag weiterhin den Berliner Senat der Finanzen besuchen durfte, fügte sich insoweit nahtlos an die Diskussionen an, als dass diese dort aus erster Hand Erfahrungen aus dem erfolgreichen Abschluss eines Sanierungsverfahren auf Landesebene erhielten. Da auch in China diverse Provinzen derzeit mit Überschuldung zu kämpfen haben, entwickelte sich etwa ein angeregter Austausch zur Frage, welche Kennzahlen sich zur Identifikation außergewöhnlicher Haushaltsnotlagen eigneten.
Foto 3: Arbeitstreffen im Europasaal des BMF
Im Anschluss reiste die BAC-Delegation nach Portugal weiter. In Lissabon stand zunächst ein Treffen mit Abgeordneten der Haushaltskommission des Nationalparlaments auf dem Programm. Im Parlament traf die Delegation auf Abgeordnete aus vier Fraktionen und erkundigte sich zuvorderst, wie es dem Land gelungen sei, die Verschuldung binnen kürzester Zeit und unter schwierigen Umständen von über 130% des BIP in 2012 auf unter 105% in 2023 zu senken. Dabei wurde nicht zuletzt der Rechtsrahmen zur Schuldenaufnahme auf subnationaler Ebene fokussiert, der im Zuge der Eurokrise deutlich verschärft wurde. Am Nachmittag war die Delegation dann bei dem 1997 in Vorbereitung auf die Einführung des Euro gegründeten portugiesischen Amt für Schuldenmanagement (IGCP) zu Gast. Der Austausch war für BAC insofern von besonderem Interesse, als dass IGCP seitdem federführend für das Management der Schatzkammer, der Direktschulden und der Finanzierung der Zentralregierung in Übereinstimmung mit dem Schuldrahmenwerk der EU verantwortlich zeichnet.
Foto 4: Arbeitstreffen beim IGCP
Der zweite Tag in Portugal führte die Delegation zunächst in die portugiesische Zentralbank „Banco de Portugal“. Von Sektoren bis hin zu Schuldnerstrukturen erhielt man hier nicht nur detaillierte Informationen zur Komposition öffentlicher Schulden in Portugal. Von besonderem Interesse waren auch die Einblicke zu Reformdiskussionen, die auch in China von hoher politischer Aktualität sind, darunter die Vor- und Nachteile fiskalischer Dezentralisierung und die richtige Balance zwischen Infrastrukturinvestitionen zur Bewältigung transformativer Herausforderungen einerseits und fiskalischer Umsicht andererseits. Die Herausforderungen, die in Portugal mit der Regulierung öffentlicher Verschuldung auf Stadt- und Kreisebene einhergehen, durfte die Delegation im Anschluss noch im Rahmen eines Besuchs der Halbinsel Setúbal erleben. Hier nahm sich der Bürgermeister persönlich Zeit für einen Austausch zur Frage, wie man dort daran arbeitet, die Kreisstadt mittelfristig wieder auf den Pfad tragfähiger Finanzen zu bringen, nachdem zuletzt ein hohes zweistelliges Haushaltsdefizit zu Buche stand.
Foto 5: Herr He Chengjun und Frau Cláudia Braz in der Portugiesischen Zentralbank
Foto 6: Herr Bürgermeister Dr. Ricardo Medeiros, begrüßt die Delegation im Rathaus von Sétubal
Wir bedanken uns bei allen beteiligten Personen und Organisationen sehr herzlich für die Gastfreundschaft und für die von großer Sachlichkeit und Fachkompetenz geprägten Diskussionen.