Am 23. Juni 2021 veranstaltete das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Peking in Kooperation mit dem Obersten Volksgericht der Volksrepublik China einen Online-Dialog zum Thema „Arbeitsrechtliche Probleme der Plattformökonomie“.
Weltweit werden Waren und Dienstleistungen in nach wie vor zunehmendem Umfang über das Internet angeboten. Eine vergleichsweise neue Entwicklung ergibt sich in diesem Bereich dadurch, dass inzwischen nicht nur die eigentlichen Waren und Dienstleistungen online angeboten, sondern dass auch die Erbringer dieser Dienstleistungen oder die im Online-Handel benötigten Hilfskräfte, z.B. Boten oder Kurierfahrer, für einzelne Aufträge über Internetplattformen angeworben werden. Von erheblicher Bedeutung ist in China der Bereich der Personenbeförderung, wo Dienstleistungen nicht nur von Taxiunternehmen, sondern auch von Privatpersonen angeboten und über eine Internetplattform vermittelt werden.
Nicht selten sind diese Dienstleister, die sogenannten Crowdworker, regelmäßig und in einer Vielzahl von Fällen für eine einzige Internetplattform tätig. Dies führt zu der Frage, ob zwischen dem Betreiber der Internetplattform und dem Erbringer der Dienstleistungen ein Arbeitsverhältnis besteht. Hierauf kommt es insbesondere an, wenn es um die Rechte der Dienstleister gegenüber dem Unternehmen oder um die Haftung für Schäden im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Dienstleister geht.
Die Gerichte sowohl in China als auch in Deutschland sind in derartigen Fällen mit Schwierigkeiten und Problemen konfrontiert, wenn im Streitfall geklärt werden muss, ob die Dienstleister als Arbeitnehmer des sie beauftragenden Unternehmens anzusehen sind oder ob sie ihrerseits als selbständige Unternehmer tätig werden.
Der Online-Dialog bot daher die Gelegenheit, die Erfahrungen der Teilnehmer in derartigen Fällen auszutauschen und sinnvolle Maßnahmen zum besseren Schutz der Crowdworker zu diskutieren.
Herrn ZHENG Xuelin, Kammerleiter der 1. Zivilkammer des Obersten Volksgerichts, eröffnete die Veranstaltung. Für die deutsche Seite übernahm Herr Norbert FEIGE, Rechtsberater im Deutsch-Chinesischen Programm Rechtskooperation, die Moderation der Veranstaltung und die einleitenden Worte.
Sodann berichteten Frau ZHANG Yan, Richterin der 1. Zivilkammer des Obersten Volksgerichts, und Herr WANG Deng, Richter am Mittleren Volksgericht der Stadt Guangzhou, über die Situation in China. Dort sehen gerade viele junge Leute die Tätigkeit als Crowdworker durchaus als Chance an, ihre Arbeit vergleichsweise selbständig zu gestalten und das eigene Einkommen durch Mehrarbeit zu erhöhen, wobei die mit der Tätigkeit verbundenen Nachteile und Risiken häufig nicht berücksichtigt werden.
Prof. Dr. Heinrich KIEL, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, stellte die Rechtslage in Deutschland dar. Er ging dabei insbesondere auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 01. Dezember 2020 ein. Dort hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Crowdworker unter bestimmten Voraussetzungen als Arbeitnehmer des Betreibers der Internetplattform anzusehen ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, dass der Dienstleister regelmäßig für ein bestimmtes Unternehmen tätig wird und wenn die auszuführenden Arbeiten weitgehend durch Vorgaben des Unternehmens bestimmt werden. Die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft hat zur Folge, dass der Crowdworker die Rechte eines Arbeitnehmers erlangt, insbesondere einen vom Umfang der ausgeführten Arbeiten unabhängigen Vergütungsanspruch und die für Arbeitnehmer in Deutschland geltenden Haftungserleichterungen. Ein solches Arbeitsverhältnis kann auch nur unter Einhaltung der geltenden Kündigungsfristen beendet werden.
Im zweiten Themenblock der Veranstaltung ging es um die Frage, welche Maßnahmen zum Schutz der im Bereich der Plattformökonomie tätigen Menschen zu ergreifen sind. Herr WEI Langping, Richter der 1. Zivilkammer des Obersten Volksgerichts, erläuterte in seinem Beitrag die Situation in China, wo das Oberste Volksgericht in einer Interpretation einheitliche Kriterien zur Abgrenzung von Arbeitsverhältnissen und selbständigen Dienstverhältnissen aufstellen wird. Im Anschluss daran stellten Herr Thilo SCHULTE und Frau Jasmin GEGENWART, beide von der Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die von diesem Ministerium geplanten Maßnahmen für die digitale Arbeitswelt, insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts und des Sozialversicherungsrechts, vor. Die Digitalisierung der Arbeitswelt soll nicht zu einem Abbau von Arbeitnehmerrechten führen.
Die Beiträge der chinesischen und deutschen Teilnehmer leiteten in die anschließende lebhafte Diskussion über. Hier wurde unter anderem die Frage erörtert, wie Fälle zu beurteilen sind, in denen Dienstleister für mehrere verschiedene Auftraggeber tätig sind.
Sowohl in China als auch in Deutschland besteht ein großes Interesse an der Fortsetzung des Rechtsdialoges zu ausgewählten Themen. Das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation wird diesen Dialog weiter unterstützen und fördern.