Am 16. September 2022 richtete das Deutsch-Chinesische Programm Rechtskooperation der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine Online-Dialogveranstaltung zum Thema „Jugendkriminalität – aktuelle Entwicklungen und Prävention“ aus. An der gemeinsamen Veranstaltung mit dem Obersten Volksgericht Chinas nahmen Richterinnen und Richter sowie Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft sowie der Sozialarbeit beider Länder teil.
Sowohl in Deutschland als auch in China hat sich die Form der Jugendkriminalität in den letzten Jahren gewandelt: Internetkriminalität, bei der Jugendliche entweder Täter, Opfer oder beides darstellen, spielen in beiden Ländern eine immer größere Rolle. Gegenüber Jugendlichen soll die Justiz keine rein bestrafende, sondern auch eine erzieherische und vor allem auch präventive Funktion einnehmen. Da es in der Jugendkriminalität weltweit ähnliche Entwicklungen gibt, sollte der vom Rechtsprogramm ermöglichte Austausch einen Überblick verschaffen und mögliche Maßnahmen zur Prävention und Erziehung diskutieren.
Zunächst richtete Herr Jiang Jihai, Referatsleiter des Referats für Jugendgerichtsbarkeit der Forschungsabteilung des Obersten Volksgerichts, die Eröffnungsworte der chinesischen Seite an die Teilnehmer und Teilnehmerinnen und betonte die gute Zusammenarbeit mit der deutschen Justiz, die durch das Rechtsprogramm ermöglicht wurde. Er betonte, dass die Jugend die Hoffnung eines Landes und deshalb besonders schützenswert ist. In Shanghai wurde 1984 die erste Jugendstrafkammer eingerichtet. Seither gab es die am 01 Juni 2021 in Kraft getretene Überarbeitung des Gesetzes zum Schutz der Minderjährigen und das neue Gesetz zur Prävention von Jugendkriminalität, welches mehr auf erzieherische als auf bestrafende Maßnahmen setzt. Die Erziehung in der Familie wird durch das am 01. Januar 2022 in Kraft getretene Gesetz zur Förderung der Familienerziehung unterstützt.
Der Programmleiter des Rechtsprogramms, Herr Dr. Marco Haase, betonte in seinen Eröffnungsworten ebenfalls, dass Prävention und Erziehungsmaßnahmen bei Jugendkriminalität im Mittelpunkt stehen sollten und dies in Deutschland ähnlich wie in China so gehandhabt wird.
Im ersten Beitrag der Veranstaltung gab Frau Luo Ying, Stellvertretende Kammerleiterin, Strafkammer I des Oberen Volksgerichts der Provinz Shandong, einen Überblick über die Entwicklungen in der Jugendkriminalität, die zu einem immer größeren Teil auch im Internet stattfindet. Es kann sich dabei um Cyberkriminalität handeln, wie bei Betrug oder Cybermobbing oder auch um Straftaten, die im Internet vorbereitet und dann physisch verübt werden, wie bei Sexualstraftaten, bei denen der Kontakt zu den Opfern im Internet aufgenommen wird. Hierbei werden in letzter Zeit auch immer mehr Minderjährige zu Opfern. Die Gerichte würden dann bei Tätern und Opfern versuchen, einen präventiven und erzieherischen Ansatz zu verfolgen, indem diese bei Bedarf zu Psychologen oder anderen Institutionen geschickt werden. Außerdem werden richterliche Vorschläge von Verwaltungsbehörden aufgenommen, die relevante Verwaltungsvorschriften erlassen.
Auf der deutschen Seite gab Herr Dr. Johannes Schlichte, Richter am Landgericht Hamburg einen Überblick über die Jugendkriminalität in Deutschland, bei der ebenfalls ein Fokus auf das Internet als Medium gelegt wurde. Auch in Deutschland gibt es den Trend, dass das Internet als Tatort und Tatmittel benutzt wird. Ähnlich wie in China werden auch in Deutschland im Bereich des Jugendstrafrechts freiheitsentziehende Jugendstrafen nur in besonders schweren Fällen verhängt und mildere Maßnahmen wie z.B. Erziehungsmaßregeln haben Vorrang. In Deutschland kann auch auf Personen, die das 18. aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben, das Jugendstrafrecht angewendet werden. In China gilt dagene ab dem 18. Lebensjahr das Erwachsenenstrafrecht ohne Einschränkungen.
In der Diskussion interessierte sich die chinesische Seite für die Kriterien, nach denen Heranwachsende bewertet werden. Zu dieser Entscheidung trägt in Deutschland die Jugendgerichtshilfe bei, die zu den Jugendämtern der Kommunen gehört. Außerdem gab es Fragen zur Sexualerziehung in Deutschland und dazu, ob die Gefahren im Internet dabei eine besondere Rolle spielen. In deutschland findet diese Erziehung in den Familien, aber auch an den Schulen statt. Bei der Aufklärung von Gefahren im Internet gibt es an den Schulen noch Nachholbedarf, aber Jugendämter und andere Organisationen geben hierzu Informationen heraus. Auch in China sind es nicht die Gerichte, die sich unmittelbar mit solchen Themen befassen. Wenn aber im Rahmen eines Rechtsfalls Themen wie Internetsucht etc. relevant werden, können die Gerichte den Angeklagten aufgeben, sich in psychologische Behandlung bei privaten Institutionen oder bei Psychologen zu begeben.
Im zweiten Teil ging es um die Maßnahmen zur Prävention von Jugendkriminalität. Professorin Xi Xiaohua von der Capital Normal Universität stellte dazu die Rolle der Sozialarbeit im Jugendjustizsystem in China vor. Sie präsentierte außerdem einen geschichtlichen Überblick, wie sich der Jugendschutz in China entwickelt hat und welche Rolle die Sozialarbeit dabei spielt.
Im Anschluss daran stellte Frau Annette Kühnlein von der Jugendgerichtshilfe Frankfurt/Main das Konzept der Jugendgerichtshilfe und die in Frankfurt/Main eingerichteten Häuser des Jugendrechts vor. Bei diesem Konzept geht es vor allem um Beratungen, Hilfsangebote, und die Begleitung jugendlicher Straftäter bis zum Abschluss des Strafverfahrens, eine engere Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft, um das Angebot eines Täter-Opfer-Ausgleiches in dafür geeigneten Fällen sowie die Kooperation mit dem Verein Kinder- und Jugendhilfe, um wiederholte Straftaten von Jugendlichen zu verhindern. Die Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe sind ausgebildete Sozialarbeiter mit staatlicher Anerkennung und wirken in jedem Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende mit. dazu gehört gegebenenfalls auch die Umsetzung der durch das Jugendgericht angeordneten Maßnahmen.
Zum Abschluss stellten Herr Jiang Jihai vom Obersten Volksgericht und Herr Norbert Feige vom deutsch-chinesischen Programm Rechtskooperation jeweils fest, dass es im Bereich des Jugendstrafrechts und der Prävention von Jugendkriminalität in beiden Ländern trotz der feststellbaren Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Systemen auch Parallelen gibt und man ähnliche Grundgedanken verfolgt.